Nur So Geschichten

 

Schnee 

 Foto: © 2015 by carola ertl all rights reserved

 

Sein Fuß schmerzte ihn schon wieder. Gestern noch hatte er mit Schosch darüber gelacht, dass er jetzt einen Wetter-Fuß habe. "Kachelmann" nannten die beiden Freunde den quälenden Fuß. Witze zu reißen half dabei das fiese Stechen erträglicher zu machen.

Nachdem Friedl den Kachelmann ordentlich durchgeknetet hatte, streckte er seinen knackenden Rücken und musterte mit zusammengekniffenen Augen die bleigrauen Wolken.

Schosch, hatte auf seine Schaufel gelehnt den Freund beobachtet, grinste ihn jetzt an.

Na, was spricht er denn, dein Kachelmann?

 Es liegt was in der Luft. Etwas neues. So komisch wie heute hat sich der noch nie aufgeführt.

Wie um seine Prophezeiung herbeizuwinken, zeigt er mit seinem behandschuhten Finger auf die Wolken.

 Die bringen was mit. Glaub mir.

Schosch lachte gutmütig, schnappte sich den Schubkarren des lädierten Freundes und schob damit in Richtung Parkplatz ab, wo die beiden den ganzen Morgen schon Ladung um Ladung ausgekippt hatten.

Friedl blieb ein wenig auf die Schaufel gestützt stehen und blickte Schosch nach. Heute war er nicht der einzige, der neugierig vom Straßenrand zusah. Bereits vor einiger Zeit hatte sich Bruno vor den Elektro-Laden gesetzt um mit weit heraushängender Zunge und breit gezogenem Maul die beiden Freunde bei der Arbeit zu beobachten. Seinem Charme konnte Friedl nur schwer wiederstehen, und so verging einige Zeit in der er den dichten Pelz Brunos streichelte, bevor er sich mit einem Seufzer wieder ans Schubkarre fahren machte.

Dabei war es Bruno gewesen, der ihm zu der plötzlichen Erkenntnis verholfen hatte, dass alles immer nur am richtigen Wort hing. Mit dem richtigen Wort kann man die Welt verändern. Friedl hatte sofort seinem Freund von der überraschenden Wendung in seiner Vorstellung von Wirklichkeit erzählt, aber der hatte ihm nur kopfschüttelnd auf die Schulter geklopft.

Friedl, was du immer so krude Gedanken hast.

Krude. Friedl mochte das Wort. Und wenn Schosch es sagte klang es gut. Ein wenig zerknittert vielleicht. Wie wenn es zerdrückt worden wäre, damit man es vor dem Gebrauch glatt streichen kann.

Aber er wollte Schosch beweisen, dass er recht hatte mit den Worten und so beschloss er, als Experiment sozusagen, Bruno einen ganzen Tag lang Fritz zu nennen. Tatsächlich war Bruno als Fritz gleich viel unsympathischer, eckig sozusagen.

Das bildest du dir nur ein, meinte Schosch dazu. Er fand Bruno als Fritz genauso nett.

Schosch kam mit der Karre zurück und Friedl übernahm das Gefährt. Der Kachelmann hatte sich beruhigt und Schosch schaufelte neuen Schnee in die Wanne.

Es liegt was in der Luft, meinte Friedl, so als Bestätigung oder um an das eben begonnene Gespräch anzuknüpfen.

Vielleicht kommt was spezielles. Der Augenblick um mit einem Wort etwas besser zu machen.

 Krude Gedanken, feixte Schosch, und sah seinen Freund belustigt an.

Geht dir das mit deinem Wort immer noch im Kopf herum?

 Naja, legte Friedl los, du hast ja gesehen wie die Sache mit Bruno geklappt hat. Und dann die Geschichte mit Lisa und den Sonnenblumen, der Haarschnitt vom Sepp und die neue Stelle von Elfi, zählte er an seinen knorrigen Fingern ab. Alles nur weil wir genau das richtige Wort dafür gefunden hatten. Schon lief es wie am Schnürchen.

Und dann noch - jetzt legte er eine dramatische Pause ein mit bedeutungsschwerem Blick in Richtung seines Freundes - und...

... Und die Geschichte mit meinem Neffen, übernahm Schosch den Dialog, den die beiden Freunde schon oft eingeübt hatten.

Die Sache mit deinem Neffen, nickte Friedl triumphierend und hochgerecktem Zeigefinger, so dass er ein wenig wie die Freiheitsstatue aussah.

Zufälle, seufzte Schosch, alles Zufälle. Gute Geschichten, alles gute Geschichten. Aber Zufälle. Schön wäre es. Zu schön.

Dann fing er wieder an zu schaufeln.

 Du hast immer so krude Gedanken. Wir können nichts ändern, nur mit dem richtigen Wort, oder dem Zauberwort oder sonst einem Wort. Nimm doch mal deinen Kachelmann. Er plagt dich schon ein ganzes Jahr lang. Und, hat er sich beeindrucken lassen von deinem Wort? Kein bisschen. Etwas Salbe aus der Apotheke wäre die richtige Idee, viel besser als nach einem Wort für deinen Fuß zu suchen.

Friedl schüttelte den Kopf über so viel Starrsinn.

Für meinen Fuß finde ich auch noch irgendwann das Wort, nur gerade ist es eben schwierig, aber deshalb gebe ich nicht gleich auf.

 Weißt du, mir kommt da so eine Idee. Vielleicht müssen meine Gedanken krude sein. Vielleicht ist das genau das richtige Wort für mich. Dein Wort für mich. Er strahlte seinen Freund über das ganze Gesicht an. Vielleicht habe ich krude Gedanken, weil die Welt auch nicht so glatt ist. Sie ist doch genauso verdreht und krude, und wenn man einen Weg in einer verdrehten Welt finden will, dann braucht man halt einen verdrehten Kopf mit kruden Gedanken.

Schosch lachte während ganz langsam kleine runde Flocken aus den schweren Wolken zu fallen begannen. Friedl, von der guten Laune seines Freundes angesteckt, griff vergnügt nach der Schubkarre und fuhr hinüber zu dem immer größer werdenden Haufen am hinteren Ende des Parkplatzes. Auf dem Rückweg hatten die graupelartigen Flocken sich schon zu einem stetigen, dichten Schauer entschlossen. Schosch stand bereits zusammen mit Bruno unter dem Vordach des Elektro Ladens und wartete dort auf den Freund.

Mit holpernder Schubkarre vorneweg kam Friedl den Weg entlang gelaufen und brachte sich in Sicherheit vor den immer größer werdenden Körnern.

Siehst du. Hat mein Kachelmann doch Recht gehabt. Ganz seltsam dieser Schnee.

Wie wenn jemand ein riesiges Salzfass umgekippt hätte und jetzt alles auf uns prasseln lässt, meinte Schosch mit seltener Metaphorik.

Nee, viel zu groß, das muss Zucker sein, verbesserte Friedl nachdenklich.

Schoschs Stirn schob sich plötzlich zu unzähligen Falten zusammen: Das ist gefrorenes Wasser! schnauzte er seinen Freund an. Kein Salz, kein Zucker! Wasser! Und es wird auch nie irgendetwas anderes sein!

Nein. Zucker! raunzte Friedl ebenso heftig zurück.

Man kann die Welt nicht durch ein Wort ändern, das ist alles nur Zufall! brüllte Schosch, während Bruno sein Maul zuklappte und mit aufgestellten Ohren auf Schosch starrte. Während sich Straßen und Wege weiß färbten - während das Prasseln der harten Körner fast jedes Wort übertönte - während Friedls Worte mit den Körnern in den Lärm hinein fielen.

Es. Ist. Zucker!

Fast gleichzeitig streckten die beiden Freunde ihre Hände in die weiße Welt hinaus, fingen die fallenden Körner auf und leckten sie aus ihren Händen. Dann sahen sie sich mit weit aufgerissenen Augen an und brachen in wildes Gelächter aus.

 © 2015 by tomas g. koch all rights reserved

 

 

Hol dich der Teufel

Der Knall und die Erschütterung, die die herabfallenden Bücher erzeugten, waren gigantisch. Ich saß gerade in meinem Lesesessel, eine Tasse ölig schwarzen Tees in der Hand, der prompt aus der Tasse sprang, mir geradewegs in den Schoß. Ich starrte entsetzt auf meine nassen Schritt, der jetzt aussah, als hätte ich mir in die Hose gemacht. Inzwischen schaukelte mein Stuhl mit dem Beben ruckartig hin und her, die Stehlampe neben dem Bücherregal fiel um und eine scheußliche Flohmarktakquise meines Großvaters, die ich aus sentimentalen Gründen aufgehoben hatte, fiel polternd von der Wand. Erstaunlicherweise waren die Bücher in den Regalen geblieben, und als mit einem Schlag Ruhe war, legte ich sorgsam meine Lektüre auf den unerschütterlichen Beistelltisch, erhob mich aus dem Sessel und ging vorsichtig in Richtung Bad, um meine nasse Hose los zu werden. Inzwischen war ich in einem Alter in dem Inkontinenz plausibel war, aber ich hatte nicht die geringste Absicht irgendwelchen Gerüchten Vorschub zu leisten. Während ich mich auszog und im Schlafzimmerschrank nach einer neuen Hose suchte, hörte ich von draußen gedämpft Schreie von der Straße. Frisch gekleidet trat ich ans Fenster und blickte auf die Straße. Außer zwei übereinander liegenden Büchern konnte ich nichts erkennen. Die Bücher waren ungewöhnlich groß und füllten die Straße von einer Häuserwand zur nächsten aus. Ich bewunderte eine Weile die Präzision, mit der die Bücher offenbar vom Himmel gefallen waren.

Auf der einen Straßenseite lag das Eck zwischen zwei Linden, denen bei dem Erscheinen der gebundenen Werke auf den ersten Blick kein Ast gebrochen schien. Auf der anderen Seite lagen sie mit dem Eck in der Parkbucht vor Heinis Elektroladen, wo ausnahmsweise kein Auto geparkt hatte. Auch Bruno der Hund des Elektrikers, der sonst immer vor dem Laden saß, schnüffelte putzmunter und ganz erregt an den Büchern. An ihren oberen Schnittkanten, etwas außerhalb meines Sichtfeldes versammelte sich bereits eine kleine Gruppe von Menschen, die laut rufend und wild gestikulierend hinter den Büchern erschienen um dann wieder zurück zu laufen. Ich neige nicht zur Sensationslust, aber in diesem Fall übten die Bücher einen magischen Sog auf mich aus, und ich ging hinunter auf die Straße um zu sehen welche Bücher vor meine Wohnungstür gefallen waren.

Als ich auf der Straße stand, hörte ich schon die Polizei, wie sie begann in das aufgeregte Gewimmel Ordnung zu bringen. Schnell wurden Absperrbänder ausgepackt und der Bücherstapel eiligst von Neugierigen geräumt. Das war mir gar nicht recht, aber ich hatte Glück. Bevor die Polizisten begriffen, dass das Baugerüst, das die Maler aufgestellt hatten um die Fassade des Schuhladens zu streichen, genau mit der ersten Arbeitsfläche auf Höhe des ersten Buches lag, hatte ich mich hochgezogen und war über die Bretter des Gerüsts zum Bucheck gehuscht und mit einem großen Schritt auf den Einband getreten. Die Maler hatten sich alle auf dem obersten Brett des Baugerüsts versammelt, um von dort oben einen besseren Blick auf immer größer werdenden Menge an Feuerwehr- und Polizeiautos zu bekommen.

Bei meinem Ausfall auf den Buchrücken hatte ich einen Blick auf die Titel der Bücher erhascht und ein ganz komisches Gefühl begann sich zwischen Kehle und Bauchnabel breit zu machen. Das Gefühl verstärkte sich, als ich mir den Einband ansah, auf dem ich stand. Das erste Buch hatte einen senffarbenen Leineneinband mit Goldprägung. Ganz zu sehen war die Prägung freilich nicht, denn darauf lag ein wenig verrückt und kleiner das zweite Buch.

In Leder gebunden mit einem blauen Schnitt, erkannte ich es sofort als meine kleine Metamorphosen Ausgabe, die ich vor ein paar Jahren auf einem Flohmarkt in England gekauft hatte.

Das Büchlein war auf Latein und auch, wenn ich die Sprache in dem es verfasst war, nicht verstand, las ich mir doch gerne ab und an laut daraus vor, nur um den Klang der Worte zu hören, die gleichzeitig fremd und melodisch klangen und mich immer beruhigten. Das andere Buch, auf dem ich nun stand kannte ich auch. Es war eine Shakespeare Ausgabe deren Seiten durch einen Fehler bei der Produktion nicht auseinander geschnitten worden waren. Richtig lesen konnte man darin nicht, aber dazu hatte ich noch andere Ausgaben. Diese hier, die nun so unnatürlich vergrößert auf der Straße vor meiner Wohnung lag, hatte ihren Reiz in ihrer eigentümlichen Unlesbarkeit. Sie erinnerte mich immer daran, dass jedes Buch, egal wie oft ich darin las, immer einen Teil seiner Geheimnisse für sich behielt. Ich war sicher, dass es genau diese beiden Bücher aus meinem Regal waren. Ich hatte sie seit Jahren schon in meinem Besitz, unzählige Male in den Händen gehalten und jedes hätte ich mit verbundenen Augen erkannt. Beide hatten gestern noch im Regal gestanden, zwar an unterschiedlicher Stelle, aber da waren sie. Ich konnte mich auch noch erinnern, wann ich sie zuletzt in die Hand genommen hatte.

Aus dem Ovid hatte ich mir vor drei Wochen zu meinem Geburtstag vorgelesen und Shakespeares fünfzehntes Sonett erst vor einigen Tagen. Eines der Sonette, das man in dem Buch lesen konnte, da es zwischen zwei ungeschnittenen Seiten lag.

Da die Bücher offensichtlich meine eigenen waren, sah ich kein Problem darin, wenn ich auf ihnen ein wenig herumlief, auch wenn ich hin und hergerissen war über ihr plötzliches Auftauchen in dieser absurden Größe, und der Neugier, was die Menge an der hinteren Kante meiner Bücher mehr faszinierte, als an der vorderen. Zunächst schob ich mich vorsichtig auf den Sims, den die Metamorphosen auf dem unten liegenden Shakespeare frei gelassen hatte und ging Schritt für Schritt in Richtung Vorderkante, wo sich die Polizisten emsig an etwas zu schaffen machten. Ich machte mir wenig Sorgen, dass man mich auf dem Buch entdecken würde, denn die Meisten halten den Blick gesenkt und nach vorne gerichtet. Nur selten sieht mal einer nach oben. Bruno, der meinen Sprint auf das Buch von unten beobachtet hatte, hielt nun auch vorsichtig am Boden mit mir Schritt, wobei er mit seinen dunklen Hundeaugen immer wieder zu mir hinauf sah. Genauso wenig wie mich, beachtete man auch Bruno. So konnten wir beide unerkannt unseren Weg zusammen fortsetzen. Ich unsichtbar oben auf dem Buch und er unerkannt in seiner Tierhaut. Bruno war mir einige Schritte voraus und ich sah, wie er sich setzte und neugierig dem Treiben auf der Rückseite des Bücherstapels zusah. Am Ende des Buches setzte ich mich vorsichtig hin, die Beine nach unten baumelnd mit den Metamorphosen bequem im Rücken. Erst dann erlaubte ich mir die Szene unter mir genau zu betrachten.

Bruno war inzwischen auch im Zentrum des Geschehens angekommen und starrte angestrengt zwischen zwei Polizisten sitzend nach vorne auf den Boden. Ich folgte seinem Blick und entdeckte die zwei Beine, die unter dem Shakespeare heraus ragten.

Von meinem Sitzplatz sahen sie wie eine bizarre Dekoration aus, zusammenhangslos hingelegt. Ein Buch mit viel zu kleinen Beinen dran. Schäbig graue Hosenbeine und komische Schuhe. Ich hätte sie jederzeit wieder erkannt. Das letzte Mal als ich diese Schuhe gesehen hatte, hatte ich eine furchtbare halbe Stunde lang darauf gestarrt. Sie hatten einen ungesunden grünlichen Farbton im Braun des Leders. Die Kappe war vom Rest des Schuhs durch einen blutroten Lederstreifen abgesetzt, der sich schräg von der Außenkante des Schuhs über den Rücken zur vorderen Spitze, etwa auf Höhe des großen Zehs, wand. Schon als ich sie zum ersten Mal sah, fand ich die Schuhe komisch. Sie gefielen mir nicht, damals nicht und jetzt erst recht nicht. Aber mein Bruder hatte mir versichert, dass sie handgemacht und besonders auf die Bedürfnisse seiner Füße angepasst waren. An dem Abend, an dem ich die Schuhe zum letzten Mal gesehen hatte, stand er vor mir und schrie mich an. Es war der Abend, an dem die grässlichste Schmeißfliege, die ich jemals gesehen habe, in meinem Wohnzimmer herumflog und penetrant immer wieder auf meine Stirn prallte, als ob sie versuchen würde in meinen Kopf einzudringen. So sehr ich auch versuchte dem Gebrüll meines Bruders einen Sinn abzugewinnen, gelang es mir nur mich ein paar Sekunden lang zu konzentrieren, denn dann kam die riesige Fliege in einem lang gezogenen Bogen aus der Mitte des Zimmers geflogen und stieß schmerzhaft an meinen Kopf. Mein Bruder stand vor mir und schrie mich an mit Worten, die ich nicht verstand und immer wieder flog das borstige Vieh wie vom Teufel besessen, meine Augen an sich fesselnd, gegen meinen Kopf. Ich hob meinen Shakespeare auf und als sie wieder an meine Stirn folg schlug ich mir mit dem Buch dagegen. Der Knall brachte meinen Bruder zum Verstummen. Er drehte sich zur Tür und ging hinaus. Die zerquetschte Fliege klebte an dem Buch. Nur zwei ihrer borstigen Beine reckten sich über den Einband.

Als ich nach unten blickte, sahen die Beine unter dem riesigen Buch genau so aus, wie die der Fliege. Ich hatte versucht den Leineneinband von den Fliegenresten zu reinigen, aber sie hatten einen hässlichen Fleck hinterlassen, und ich dachte, dass der Einband des großen Buches auf dem ich saß, wahrscheinlich genauso ruiniert sein müsste.

Fast zwanzig Jahre war es her seit ich meinen Bruder das letzte Mal gesehen hatte.

Davor waren wir uns sehr nahe. So nahe, dass ich ihm jederzeit mein Leben anvertraut hätte. Als unsere Eltern starben war ich schon erwachsen und er noch ein Kind. Ich versuchte Vater und Mutter zu sein, zog ihn groß und wir wurden, nein wir waren schon immer die besten Freunde.

Er heiratete und obwohl ich ihm vielleicht eine andere Art von Frau gewünscht hätte, war ich aufrichtig froh, dass er jemanden gefunden hatte, der ihn glücklich machte. Er sollte glücklich sein, egal welchen Weg er sich dazu aussuchte.

Ich ging meinem Leben nach und er dem seinen. Wir sahen uns weniger, manchmal hörte ich längere Zeit nicht von ihm, wir hatten beide zu tun. Dann aber er rief plötzlich oft an, kam mich jede Woche mehrmals besuchen und jammerte wie unglücklich er sei. Zwei Jahre lang hörte ich seine Klagen über die Frau. Kleinigkeiten fand ich. Ich versuchte ihn zu beruhigen, munterte ihn auf. Dann wurde sie schwanger und ich hörte wieder nur sporadisch von ihm, dann gar nicht mehr.

Wenn ich mich meldete hatte er keine Zeit und so sahen wir uns kaum. Das Kind wurde geboren und in großer Harmonie in die Familie aufgenommen. Seine Besuche bei mir blieben aus, und wenn ich zu ihm kam, war es ihm nicht recht. Er arbeitete nicht regelmäßig, war viel krank oder mit dem Kind beschäftigt. Als Beamter konnte er seinen Lebensstil komfortabel organisieren, was ich ihm bisweilen vorhielt. Unsere Beziehung wurde weniger herzlich, brach aber nie völlig ab. Als das Kind lief, häuften sich seine Besuche wieder. Er jammerte, dass er es zu Hause nicht mehr aushalte.

Schließlich zog er bei mir ein, als die Frau das Türschloss hatte auswechseln lassen und er nur mit dem was er am Leib trug ausgesperrt wurde. Er blieb einen Monat lang. Sie rief jeden Tag an und bat ihn nach Hause zu kommen. Er bekam den Hausschlüssel per Post zugeschickt und war am selben Tag fort.

Wir hatten Nächtelang geredet und uns immer nur im Kreis gedreht. Ich hatte ihm gesagt er sollte an Trennung denken. Auf keinen Fall, sagte er, dann müsste er ja zugeben einen Fehler gemacht zu haben. Ich wusste nicht was ich darauf antworten sollte, so absurd schien mir das.

Nach seinem Weggang aus meiner Wohnung bekam ich die ersten Briefe von ihm und der Frau. Sie beschimpften mich, dass ich die Ehe schlechtreden würde und meine bösartigen Behauptungen nichts als primitiv verhüllte Eifersucht auf sein Familienglück wären. Ich war erschüttert, aber nach einiger Zeit hörten die Briefe auf, und ich bekam von einer gemeinsamen Freundin erzählt, dass die Frau wieder schwanger sei.

Bald darauf stand er mit dem Kind vor meiner Tür. Sie zogen bei mir ein, ich räumte das Schlafzimmer frei und zog in mein Arbeitszimmer auf die Liege. Sie hatte ihm seinen Pass genommen und ihn tagelang eingesperrt, sonst wäre er früher gekommen. Die blauen Flecken auf seinen Armen, Faustschläge von ihr. Ich badete das Kind, ihm fehlte nichts und ich weinte vor Erleichterung.

Wir gingen zum Gemeindeamt und meldeten den Pass als verloren. Nach einem Monat bekam er einen neuen. Das Kind ging in den Kindergarten, er brachte es am Abend nach der Arbeit wieder mit. Bald fing es an von seiner Mutter zu erzählen. Mein Bruder schimpfte mit ihm und verbot ihm, mir von der Mutter zu sprechen. Lass es, sagte ich, es ist seine Mutter, und dem Kind tut sie nichts. Er wollte nichts davon hören. Später erfuhr ich, dass er jeden Morgen zur Frau ging und dort den Tag verbrachte.

Er zog wieder aus, das Baby wurde geboren. Nicht sein Kind, sagte er mir. Er blieb. Rief mich an um mir von seinem Unglück zu berichten. Ich sagte ihm: Jeder ist seines Glückes Schmied. Dann rief er nicht mehr an.

Ein Jahr später stand er in meiner Wohnung mit diesen seltsamen Schuhen und schrie mich an. Alles was ich getan hätte, nur um ihn von seiner Frau zu trennen. Ich hätte ihn immer nur gequält, gehasst, verachtet. Ich starrte auf die Schuhe. Alles meine Schuld, die seltsamen Schuhe, alles meine Schuld, meine Stirn schmerzte vom harten Aufprall der Fliege, alles meine Schuld und dann Ruhe. Die zerquetschte Fliege hinterließ auf dem Leineneinband einen hässlichen Fleck. Ich habe ihn nie wieder rausbekommen.

Ich war so in Gedanken, dass ich nicht bemerkt hatte, wie ich zu meinem Bruder gegangen war, soweit mich die Absperrbänder eben ließen. Wie er mich wohl gefunden hatte. Ich lebte schon lange in einem anderen Land in einer anderen Stadt. Mein Blick glitt zum Boden wo sich ein Papier in einem der Sträucher zwischen den Parkbuchten gefangen hatte. Ich kannte die Schrift, die runden kindlichen Buchstaben. Ich starrte auf den Zettel, den er mir wohl mitgebracht hatte. Der Luftzug der herabfallenden Bücher, hatte ihm den Zettel vielleicht entrissen und in den Strauch geblasen.

Friedl stand plötzlich neben mir und zog den Zettel aus dem Strauch. In seiner Schubkarre hatte er Straßenmüll gesammelt, stutzte aber und machte ein missbilligendes Geräusch mit der Zunge.

Hol dich der Teufel, las er laut und schüttelte dabei den Kopf.

Man muss mit seinen Worten vorsichtig sein, sagte er an mich gewandt. Ich nickte.

Er schmiss den Zettel zum übrigen Straßenmüll.

Ja, sagte er und wiegte dabei den Kopf ein wenig. Das wird keine schöne Leiche.

Wohl nicht, pflichtete ich ihm bei.

Friedl nahm seine Schubkarre wieder auf und schob sie zurück auf die Straße, weg von dem Bücherstapel auf der Suche nach weiterem Straßengut.

Ich ging auch in Richtung meiner Wohnung zurück.

Dann würde ich mir wohl eine neue Shakespeare Ausgabe besorgen müssen. Obwohl ich bezweifle, dass ich jemals wieder eine Ausgabe finden werde, bei der die Seiten nicht geschnitten sind.

© 2016 by tomas g. koch all rights reserved